“Dann fahren wir doch zuerst zum Heilstollen”, schlägt Karl-Hermann Rotte, rüstiger Marketingleiter und pensionierter Verlagsbesitzer munter vor, nachdem wir uns im Kurhaus von Bad Grund die Hände geschüttelt haben.
Er begleitet mich auf meiner Tour zu einer der wichtigsten Sehenswürdigkeiten in dem ehemaligen Moorbad und heutigem Heilklimatischen Kurort mit Heilstollentherapie. Vor noch gar nicht langer Zeit, so erzählt er, hätte seine Heimatstadt noch ein ganz anderes Bild abgegeben: damals wurden Patienten hierher geschickt, um ihre Atemwegserkrankungen und Lungenleiden in dem Heilklimaort zu heilen. Heute, nach der Gesundheitsreform und ihren Auswirkungen auf den Kurbetrieb, wäre das Besuchsaufkommen ziemlich geschrumpft. Eine Klinik gibt es nicht mehr, dafür kommen die Patienten jetzt zu ambulanten Kuren, bei denen sie die Unterkunft frei wählen können.
Von Grund auf: Vom Bergbau zum Heilbad
Der Ort Grund war eine der frühesten Siedlungen im Oberharz und wurde erstmals um 1320 erwähnt. Von Beginn an wurde Bergbau betrieben, erklärt mir Herr Rotte. 1992 schloss das letzte Erzbergwerk, insgesamt sechs Millionen Tonnen Erz und 2500 Tonnen Silber wurden aus ihm gewonnen.
“Als Heilklimaort sind wir das einzige Bad in ganz Norddeutschland mit staatlich anerkannter Heilstollentherapie für Atemwegserkrankungen“, erzählt mir der gebürtige Bad Grundner. “Ich habe zuvor noch nie etwas von einem Heilstollen gehört”, sage ich ehrlich und ernte ein verständnisvolles Lächeln.
Wenig später biegen wir rechts in einen schmalen Feldweg ab und fahren mitten durch Kuhwiesen, auf denen friedlich Kühe grasen. “Das ist unser Harzer Rote Höhenvieh!“ Herr Rotte deutet auf die braunen Kühe, die uns jetzt neugierig von der Weide aus beäugen. Die alte Haustierrasse ist vom Aussterben bedroht und in Bad Grund ist man stolz darauf, sie hier vor ihrem Verschwinden zu bewahren.
Heilstollentherapie im Teufelstal
Der Weg wird schmaler und der Wald dichter. Wir fahren immer tiefer hinein in das sogenannte Teufelstal. Dann sehe ich zwischen den Bäumen vor mir ein kleines Holzhaus, schräg daneben, ein paar Meter entfernt, erspähe ich eine recht unscheinbare Eisentür, das muss der Eingang zum Heilstollen sein.
Aus dem Holzhaus kommt uns winkend eine junge Frau entgegen gelaufen. „Hallo!” ruft sie von Weitem. “Ich dachte schon, ihr kommt nicht mehr!“ Sie heißt Kerstin, ist ausgebildete Pflegerin und kümmert sich um die Patienten, die zur Heilstollentherapie kommen. Heute seien das weitaus weniger als noch vor 15 Jahren, erklärt Kerstin, sie und Herr Rotte kennen den Stollen noch voll belegt. Die Krankenkassen verschreiben leider heute lieber Medikamente statt reine Luft, die es ohne Beipackzettel und ohne Nebenwirkungen gibt.
Kerstin misst von jedem, der hierkommt, zunächst das Lungenvolumen. Tatsächlich ist bei allen Patienten bei regelmäßiger Therapie eine echte Verbesserung festzustellen. Einmal kam ein Mann im Rollstuhl, er besaß kaum noch Atemkraft. Nach drei Wochen täglicher Therapie im Stollen konnte er wieder wandern gehen. Geschichten wie diese machen Mut – und sprechen für die Therapie, die heute von einigen Krankenkassen als ambulante Kur übernommen wird.
Wer in den Stollen geht und dort für zwei Stunden bleibt, so lange dauert die Therapie pro Anwendung, bekommt einen dicken grünen Schlafsack und eine blaue Isomatte als Rüstzeug.
Mit Schlafsack und Isomatte in den Stollen
„Ist ja gut, dass sie eine Jacke dabei haben“, sagt Herr Rotte. Im Stollen liegt die Temperatur das ganze Jahr bei sieben Grad Celsius.
Herr Rotte und ich gehen aus der Holzhütte zum Eingang hinüber, Kerstin kommt später mit heißem Tee für die Patienten nach. Den bekommen sie immer “zur Halbzeit” nach einer Stunde. Soweit ist es noch nicht.
Mein Tourguide öffnet die eher kleine und dafür ziemlich schwere Eisentür und vor uns erstreckt sich ein langer, schlauchartiger Gang, der sich 100 Meter in den Berg hineinzieht. Ordentlich ist es hier, der Weg ist gepflastert und gut beleuchtet, keine Spur von ungemütlich feuchter Höhle und schroffen Felswänden.
Nach etwa 60 Metern tut sich eine Art Gewölbe auf, in dem beige Liegestühle nebeneinander stehen. In dem Gang, der sich von dort weiter in den Berg zieht, stehen aneinandergereiht weitere. Bis zu 100 Gäste hätten Platz hier im Stollen, erklärt mir Herr Rotte. Wir sprechen jetzt leise, denn die zwei Patienten, die dick in ihre Schlafsäcke eingepackt auf der Liege entspannen, sollen nicht gestört werden.
Ein Klima wie auf dem Ozean
Das Klima und die Luft hier im Heilstollen hätten denselben Effekt wie eine zweistündige Fahrt auf dem Ozean, erklärt mir Herr Rotte. Augenblicklich taucht in meiner Fantasie das Deck eines Ozeandampfers mitten auf dem Atlantik vor mir auf. Ich sehe die Gäste auf Liegestühlen an Deck liegen, eingepackt in warme Decken und neben sich eine Tasse Tee. Rings herum nichts als klare Meeresluft. Der Stollen hat vielleicht nicht ganz dasselbe Flair, doch erstens geht es hier nicht um Wellness sondern Heilung und zweitens: wer hat schon die Zeit und das Geld, sich wochenlang auf einem Schiff einzumieten?
Still ist es hier drin, mitten im Element Erde, und das tut gut, entspannt. Ein wohliger Schauer läuft mir über den Rücken und ein letztes Mal atme ich die reine Luft tief ein bis in die allerletzte Ecke meiner Lungen.
Ich muss weiter, leider. Wir fahren am Höhenvieh vorbei zurück in den Ort. Herr Rotte zeigt mir noch den Weltwald und den Märchenwald, wir halten am Hübichenstein, unter dem sich gemäß einer Sage das Zauberschloss des Zwergenkönigs Hübich verbergen soll, und dann verabschieden wir uns.
Herr Rotte besteht darauf, zu Fuß nach Hause zu laufen. Den Wald hier kennt er wie seine Westentasche. Und das Moor gibt es ja schon lange nicht mehr.
VIDEO! Yoga im Heilstollen? 😉
LINKS:
Wer nach Bad Grund fährt, sollte neben dem Heilstollen auch den „Weltwald“ und das Bergbaumuseum “Knesebeckschacht” anschauen. Die Umgebung lässt sich auf einem der zahlreichen Wanderrouten rund um das Bergdorf erkunden. Vielleicht findet ja auch jemand das sagenumwobene Zauberschloss vom Zwergenkönig Hübich. 🙂
Hinkommen: über die A7, Abfahrt Seesen Richtung Osterode. Auf der B242 zwischen Seesen und Clausthal-Zellerfeld, Abfahrt Bad Grund.
Die Reise wurde unterstützt von Mein Niedersachsen. Danke!
6 Comments
Nett… aber mit Verlaub: Sachlich nicht ganz richtig.
Der pensionierte Verlagbesitzer heißt Karl-Hermann Rotte und es gab zu keiner Zeit “zahlreiche Kliniken” in Bad Grund.
Und Bad Grund hat noch einige andere wunderschöne Seiten, die eher als Argument für einen Besuch dienen. Weltwald, Horizontalweg, Iberger Tropfsteinhöhle. Und wenn ich so drüber nachdenke: Yoga im Arboretum kann ich mir auch sehr reizvoll vorstellen.
Nette Grüße von einer ehemaligen Bad Grundnerin
Liebe Gabi, vielen Dank für die Korrektur, Herr Rotter heisst jetzt richtigerweise wieder Karl-Hermann. Ich hatte es tatsächlich so verstanden, dass in Bad Grund auch Kliniken ansässig waren. Da erkundige ich mich gerne noch einmal direkt bei dem Fachmann. Wir hatten leider nicht soviel Zeit, all die anderen schönen Dinge in und um Bad Grund zu erkunden. Mich persönlich hat der Heilstollen total fasziniert – ich hatte so etwas vorher noch nie gesehen und finde es unglaublich, was eine Heilstollentherapie offenbar bewirken kann. Und ja: Yoga im Arboretum und zum Pranayama in den Heilstollen, das kann ich mir auch super vorstellen! 🙂 Herzliche Lieblingsgrüße sendet Dir Katharina
Ich war übrigens jetzt mal wieder in Bad Lauterberg und auch im Café Schnibbe. 🙂 Nachdem diese blöde Umleitung von Göttingen her weg ist, werde ich wohl öfter mal wieder in diese Richtung fahren.
Liebe Gabriele, wie schön! Ich habe inzwischen auch gelernt, dass es sich in Bad Lauterberg super einkaufen lässt, bei Rudolphi. Da schaue ich beim nächsten Besuch vorbei. 🙂 Lieblingsgrüße! Katharina
Ach ja, Rudolphi. Ich brauche ja auch unbedingt noch was zum Anziehen. 😉
Morgen wollen wir auch mal nach Bad Grund – da gibt es ein paar nette Burgruinen in der Umgebung. Ich habe übrigens mal die letzten Touren, die ich mit meinem Vater gemacht habe, auf meinem Blog kurz vorgestellt. (Das ist zwar mehr ein Geschichts- als ein typischer Reiseblog, aber Fotos gibt eas auch 🙂 ).
Liebe Gabriele, wie schön, Bad Grund! Dort hatte ich leider viel zu wenig Zeit. Danke für den Tipp zu Deinem Blog! Schaue ich mir an. 🙂 Happy shopping! Lieblingsgrüße sendet Dir, Katharina