Hollywood in Aragón. Oder: die Legende der “Dama de Loarre”
Da staunten die Einwohner der kleinen Gemeinde von Loarre nicht schlecht, als in ihr kleines Dorf plötzlich das Mittelalter zurück gekehrt zu sein schien.
Hoch oben über dem Dorf, in der gewaltigen Festung, ertönte plötzlich Lärm aus der Schmiede und am Morgen begegneten den Frauen auf dem Weg zum Einkauf Ritter in voller Rüstung, die auf ihren Pferden an ihnen vorbei und weiter auf dem verschlammten Weg gen Burg trabten. Falscher Film?
Ach wo! Denn mittendrin in diesem Trubel stand beglückt der berühmte Regisseur Ridley Scott. Neben ihm Orlando Bloom und Liam Neeson in Ritterrüstung. Hups, war war denn hier los?
“Ich wollte immer einen Film über Ritter und die Zeit des Mittelalters machen, speziell die Kreuzzüge,” hatte Scott in einem Interview gesagt. Entstanden ist ein monumentales Werk über edle Ritter, den richtigen Glauben und den ewigen Kampf um Jerusalem im heiligen Land der Jahre 1186 – 1189. Und den perfekten Schauplatz hatte er in Spanien, bei Loarre in der Provinz Aragón mit der erstaunlich gut erhaltenen, romanischen Burg gefunden. Hollywood erreichte Loarre oder Loarre Hollywood. In jedem Fall sind hier die ersten Szenen seines epochalen Werks “Königreich der Himmel” entstanden und diese Entscheidung brachte den Alltag der aus gerade einmal 361 Einwohnern bestehenden Dorfgemeinschaft gehörig durcheinander.
Niemand hätte sich träumen lassen, dass ausgerechnet Orlando Bloom, der den Helden des Epos mimt, in der zu neuem Leben erweckten Schmiede als Hufschmied Balian glühendes Eisen zu einem Schwert schmieden würde. Oder dass Liam Neeson am Morgen durch die Straßen ziehen würde um wenig später als Vater Godfrey Baron von Ibelin aufzutreten und seinen Sohn als Ritter in das Heilige Land zu schicken. Doch so war es. Und die Geschichte der Burg von Loarre, einer der wichtigsten romanischen Bauwerke Spaniens, wurde um eine Episode reicher.
Bald darauf setzte Scott seine Dreharbeiten in Sevilla, Avila und Quarzazete (Marokko) fort und in das kleine, vom schnellen Leben der Außenwelt weitestgehend abgeschieden liegende Dorf Loarre kehrte wieder Ruhe ein.
Ganz viel Geschichte an einem kleinen Ort im Nichts
Die Geschichte der Burg jedoch ist keineswegs ruhig verlaufen, im Gegenteil. Wie es sich für eine Festung gehört wurde sie zum Schutz errichtet und stand zum Beispiel lange im Zentrum der “christlichen Reconquista“, einem Glaubenskrieg auf der von Muslimen seit dem 8. Jahrhundert beherrschten iberischen Halbinsel.
Nach dem Tode des mächtigen Almansor im Jahre 1002 brachen im bis dahin übermächtigen Kalifat von Cordoba zahllose Thronstreitigkeiten und Nachfolgekämpfe aus, bei denen “Al Andalus” in zahlreiche Kleinstaaten (Taifas) zerfiel.
Diesen Machtverlust der Muslime nutzte der navarrische König Sancho III – der Große – (um 990 – 1035), um mit dem Bau der Burg von Loarre die Grenzen seines Königreiches zu sichern und eine Basis für die zukünftige Expansionspolitik seines Reiches zu schaffen. Nach seinem Tod fiel die wehrhafte Anlage dann in den Besitz seines zweitältesten Sohnes Ramiro I, der nun erster König der alten Grafschaft von Aragón wurde.
Als Ramiro I im Krieg gegen die Muslime im Jahr 1063 starb, folgte ihm schließlich sein ältester Sohn Sancho Ramirez als Herrscher und Eigentümer der Burg.
Dieser gründete in der vorher nur militärisch genutzten Festung ein Kloster der Augustiner und verlieh ihr somit eine für das junge Königreich Aragón überragende militärische und religiöse Bedeutung.
Er nahm außerdem den Kampf gegen die muslimischen Herrscher des an sein Reich angrenzenden Taifas von Saragossa wieder auf. Um deren wichtige Stadt Huesca zu erobern, errichte er schließlich im Jahr 1089 in unmittelbarer Nähe von Huesca eine weitere mächtige Burg, Montearagon. Auch das Kloster der Augustiner wurde nun von Loarre nach Montearagon verlegt und die Festung von Loarre selbst wurde wieder zu einer rein militärisch genutzen Anlage.
Ihre Bedeutung ging dann mit der Eroberung von Huesca 1098 und der weiteren Expanisonspolitik in den folgenden Jahren immer weiter zurück.
Schließlich verkaufte König Martin I von Aragon sie im 14. Jahrhundert an seinen Vasallen, den Herzog Antón de Luna, um seine Expanisonskriege in Italien zu finanzieren.
Doch damit sollte die Burg von Loarre noch einmal ein wichtiger Schauplatz der Geschichte Spaniens werden. Im Jahr 1410 verstarb nämlich Martin I, ohne einen legitimen Nachfolger zu hinterlassen. Der daraufhin ausbrechende Konflikt wurde schließlich im Kompromiss von Caspe zugunsten von Fernando von Trastámara entschieden. Damit war jedoch der Graf von Urgell, Jaume II nicht einverstanden. In seinen Ansprüchen wurde er dabei von Antón de Luna, dem Herren der Burg von Loarre unterstützt, der einen Bürgerkrieg gegen Fernando I begann. Fernando gelang es jedoch, den Aufstand niederzuschlagen und die Burg von Loarre wurde nach einer Belagerung von drei Monaten seinen Truppen übergeben.
Nun verlor die Festung endgültig ihre Bedeutung. Dennoch bietet die mächtige Anlage bis heute einen imposanten Anblick und schon die Anfahrt von der alten Stadt Huesca ist beindruckend. Auf der A-132 geht es durch die Ebene von Huesca und in der Ferne erheben sich die mächtigen Berge der aragonesischen Pyrenäen mit ihren majestätischen Gipfeln und den vorgelagerten Felsformationen, den “Riglos”. Übrigens ein echtes Paradies für Wanderer und Bergsteiger.
Hier spukt’s doch! Die Legende der “Dama de Loarre”
Keine Burg kommt ohne einen Burggeist aus, da bildet die Burg von Loarre selbstverständlich keine Ausnahme. Die Legende geht so:
“Die “Dama de Loarre” mit dem klangvollen Namen Violante de Luna war die Cousine und gleichzeitig die Geliebte von Antón de Luna, dem Eigentümer der Burg von Loarre und Führer der Rebellion von Jaume II, des Grafen von Urgell, gegen Fernando I.
Nach der Niederlage von Jaume II flüchtete Antón de Luna aus Loarre nach Frankreich. Seine Geliebte Violante de Luna blieb in der Festung und organisierte von hier aus mit eisernem Willen den Widerstand der Verteidiger gegen die Truppen Ferdinands I. Erst nach drei Monaten Belagerung musste sie schließlich kapitulieren und die Burg übergeben. Alle Verteidiger von Loarre wurden begnadigt, nur Violante wurde in das Gefängnis geworfen. Erst als ihr Onkel, Papst Benedict XIII, bei Fernando I auf ihre Freilassung bestand, wurde sie schließlich in die Freiheit entlassen und konnte ihrem Geliebten nach Frankreich folgen. Später kehrten sie gemeinsam nach Aragón zurück, wo Antón de Luna 1419 in Mequinenza starb. Von Violante jedoch verlor sich jede Spur und sowohl ihr Todestag als auch ihre Grabstätte blieben für immer ein Geheimnis.
Dafür erscheint auf dem “Balkon der Königin” in der Festung von Loarre seit dieser Zeit immer in den Nächten von San Juan ihre Silhouette und es scheint, als würde sie Ausschau halten nach ihrem Geliebten. Und in manch anderer Nacht zeigt sich ihre weiße Geistergestalt mit wehendem Haar in den Gemäuern der Burg und erinnert die Menschen so immer wieder an ihren unbeugsamen Willen bei der Verteidigung der Festung ihres Geliebten.
Von Steinadlern und Gänsegeiern
Heute sehen wir, sicherlich sehr zur Freude jedes Naturfotografen, hoch über unseren Köpfen mächtige Steinadler und Bart- und Gänsegeier durch die Lüfte schweben, als wir nach einer halben Stunde Fahrzeit das Castillo de Loarre erblicken.
Wenig ist los hier an diesem Mittwoch, denn nur wenige Besucher verirren sich unter der Woche an diesen Ort. Am kleinen Kiosk erstehen wir sehr unkonventionell und für genau 3,90 Euro unsere Eintrittskarten und besichtigen die mächtige Burg ausgiebigst auf einer Rundtour durch die Gemäuer. Eine gewaltige Außenmauer mit einer Länge von 172 Metern umgibt die alte Burg. Zusätzlich wird sie von gigantischen Rundtürmen verstärkt. Wie muss diese Burg im Mittelalter erst auf ihre Feinde gewirkt haben?
Mir fällt es schwer mir vorzustellen, dass vor noch gar nicht langer Zeit Hollywood-Größen hier ihre Arbeit verrichteten. Und gleichzeitig sonnenklar, denn eine bessere Kulisse gibt es kaum. Die Fantasie geht mit einem durch, da kann man nichts machen. Auch ohne Spielfilm.
Der Blick vom “Turm der Königin” hinab in die Ebene zu unseren Füßen raubt uns schier den Atem. Unbedingt empfehlenswert ist außerdem ein Besuch der zum ehemaligen Kloster gehörenden Sankt-Peter Kirche: Durch die mit Bögen umrahmten Fenster scheint das Licht herein und gibt den Blick frei auf ihre Säulen, an deren Ende wunderbar gearbeitete Kapitellen zu erkennen sind.

Die Ritter der Tafelrunde? So ähnlich, aber in Aragón, Spanien. Jedenfalls genauso fantasieanregend.
Foto: Jürgen Putz
Ich gebe es zu: den Geist der willensstarken Violante habe ich nicht gesehen. Ich habe es allerdings auch nicht für nötig gehalten, die Nacht in den alten Gemäuern zu verbringen. Nicht, dass ich mich gefürchtet hätte, nein! Es hätte bloß gar nichts gebracht, denn es war ja nicht die Nacht von San Juan!
Weitere Informationen:
Castillo de Loarre
22809 Loarre, Huesca, Huesca
Öffnungszeiten:
Winter: 01.11 – 28.02. : 11:00 Uhr – 17:30 Uhr
Sommer: 16.06. – 15.09. : 10:00 Uhr – 20:00 Uhr
Frühling/Herbst: 10:00 Uhr – 19:00 Uhr
Link: http://www.castillodeloarre.es
Über den Autor:
Jürgen Putz und ich kennen uns seit mindestens 10 Jahren. Damals noch als erfolgreicher Geschäftsmann in Frankfurt unterwegs, beschloss er irgendwann, seine Firma zu verkaufen und sich einem gänzlich anderen Leben zu widmen. Er traf seine große Liebe und ging mit ihr nach Spanien. Das war im Jahr 2006. Heute macht er das, was ihm am meisten Freude macht, und das ist fotografieren, durch die Welt reisen und sich speziellen, häufig historischen Themen durch die Kamera anzunähern.
Im Jahr 2009 erschienen seine ersten Bildbände über Kolonialarchitektur in Mexiko, und die darin gezeigten Fotografien wurden in zahlreichen Rezensionen begeistert gewürdigt.
Bei seinem Verlag Summanus S.L. arbeitet Jürgen Putz zur Zeit an Büchern über die spanischen Städte Girona und Tarragona, die Provinz Aragonien und an einer Dokumentation über Chiapas (Mexiko).
Darüber hinaus ist er als Geschäftsführer auch für die Verwaltung des Verlages zuständig.
Jürgen, übrigens Jahrgang 1962, wird fortan häufiger auf den Lieblingsflecken über besondere Orte in Spaniens Norden und sonstigen Lieblingsflecken auf der Welt berichten.
Wenn’s Euch gefällt, freuen wir uns über Kommentare!
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